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28.4. Warum ich für die Abschaffung des ORF in der jetzigen Form bin
Vor kurzem bekam ich vom rührigen Gerhard Ruiss von IG Autoren eine Einladung, als Proponent die Initiative Wir für den ORF zu unterstützen. Dieses Mal wollte ich dem Aufruf aber keine Folge leisten. Denn einem hier lebenden Jazzmusiker präsentiert sich der ORF in einer ziemlichen eigenartigen Form.
Dem ORF–Jahresbericht 2018 kann man z.B. entnehmen, dass es auf Ö1 sechs Musikkategorien gibt – Ernste Musik, Alternativ, Volksmusik/Weltmusik, Pop, Unterhaltungsmusik/Schlager sowie Oldies/Evergreens, letztere sogar mit einem Sendeanteil von lediglich 0,15% extra aufgelistet. Nur der Jazz bleibt unerwähnt! - Dieser wird übrigens hauptsächlich jede Samstagnacht von 23.00 bis um 06.00 am nächsten Tag in der früh, vorwiegend ungehört, gespielt. Als Belohnung für die, in dieser unmöglichen Sendezeit versteckten Musiker, gibt es dafür ab 24.00 nur noch 10% des normalen Tantiemensatzes, ein Deal zw. der AKM und dem ORF, von dem wohl nur wenige wissen. Dafür gibt es seit Kurzem ein neues Sendungsmodell jeweils am Sonntag um 19:33, das sich Radiosession nennt und auf den ersten Blick eine löbliche Idee zu sein scheint. Da können Jazzmusiker in einem ORF-Studio während vier Stunden eine Session aufnehmen. Dafür ist aber - schon fast selbstverständlich, kein Honorar vorgesehen. Stattdessen lobt sich der ORF im Jahresbericht selber für diese tolle "Nachwuchsförderung". Anmerkung: es wird sich diesbezüglich auch dann nichts ändern, wenn man nicht mehr zum Nachwuchs gehört. Einer Quartettformation, die neulich extra aus der Steiermark dafür angereist ist, wurden die Reisespesen von € 200.- auf € 100.- gekürzt.
Das operative Budget, das die Jazzredaktion – die übrigens auf eine Initiative des Journalisten Gunther Baumann und mir in den 80er Jahren entstanden ist, beträgt unterdessen nur noch ca. € 50.000.- pro Jahr. Dazu kommt noch ein bisschen etwas aus einem anderen Topf für die Konzerte im Radiocafé, wo es im allerdings nicht mal einen Flügel gibt - für den Jazz muss das reichen!
Das bedeutet also, dass die meisten Jazzveranstalter den ORF kostenlos mitschneiden lassen, schließlich wollen sie nicht um die entsprechende Werbung für ihr Festival/Konzert umfallen. Bei diesem "Nötigungsakt" schauen natürlich wieder die Musiker durch die Finger (wobei es solche Tendenzen natürlich nicht nur beim ORF, sondern auch bei andern Sendern im Ausland gibt!). Und wo wäre nun der Kulturauftrag des ORF, wenn der bestbezahlte "Dancing Star" die gleiche Summe bekommt wie die gesamte österreichische Jazzszene in einem Jahr? Und apropos Dancing Stars: stellen Sie sich mal vor, sie wären ein zwanzigjähriger Tänzer, bzw. ein zwanzigjährige Tänzerin. Wie würden Sie es empfinden, wenn der ORF eine sündteure Show für Leute produziert, die nicht tanzen können, für den Tanz selber aber rein gar nichts macht? Würden Sie den ORF dann für unterstützenswert halten?
Nach der eher subjektiven Sichtweise nun ein paar Facts, die nichts mit Jazz zu tun haben. Die Sendezeiten aller vier Kanäle ORF1, ORF2, ORFIII und Sport+ schauen laut ORF - Jahresbericht 2018 so aus: Unterhaltung 37%, Sport 30%, Kultur 23% und Info 16%. Und jetzt stellt sich natürlich die Gretchenfrage, warum im Stiftungsrat (sechsunddreißig Männer/elf Frauen) außer Politikern, Gewerkschaftern, Kammer- und Wirtschaftsvertretern KEINE EINZIGE Person aus den Bereichen Unterhaltung, Sport und Kultur vertreten ist. Dass Intellektuelle da nicht zum Zuge kommen, fällt schon gar nicht mehr auf Und jetzt wird im Zuge einer möglichen Gebührenabschaffung allen Ernstes darüber diskutiert, dass der Einfluss der Politik dann zunehme und die Unabhängigkeit des ORF nicht mehr garantiert sei! Früher mal nannte man so etwas bigott, heuchlerisch.
Meine radikale Utopie würde so ausschauen: Als erstes würde ich Ö3 privatisieren, dann den ziemlich sinnlosen und schlecht gemachten, unterdotierten Sport+ abschaffen und daraus dann einen richtigen (österreichischen) Sport Channel machen, bei gleichzeitiger Abschaffung von ORF1 und ORF2. Dancing Stars, Barbara Karlich, diverse Bälle und sonstige langweilige Eigenproduktionen könnten private Sender ebenso gut (ATV) oder besser (Servus-TV) herstellen.
Dafür würde ich Ö1 und einen breiter aufgestellten, besser finanzierten ORFIII, samt eines neugeschaffenen, österreichbezogenen Info- und Dokusenders (anstelle von ORF1 & ORF2) zusammenlegen und zu einem neuen ORF machen, bei dem die Politik keinerlei Mitspracherecht mehr hätte. Ein Sender - also bestehend aus einem Politik-, einem Kultur/Unterhaltungs- und einem Sportchannel (nebst ö1), der als Aktiengesellschaft, den Redakteuren gehört und der jedes Jahr eine festgelegte valorisierte Summe aus dem Bundesbudget bekommt, also unabhängig von der jeweiligen Regierung.
mathias rüegg
ps 1: Die SRG (Schweizer Radiogesellschaft) betreibt z.B. einen digitalen Jazzsender, sogar mit einem fixen CH-Anteil, der anständige Tantiemen bezahlt. http://www.radioswissjazz.ch/de
ps 2: Warum muss der ORF aus den GIS-Gebühren knapp 140 Mio. an den Bund und knapp 150 Mio. an die Länder bezahlen? Das sind eigenartige Vermischungen von völlig unterschiedlichen Dingen, die eigentlich nichts miteinander zu tun haben sollten.
ps 3: Die Aktivitäten der Ö1/Jazzredaktion anlässlich des Unsesco International Jazz Day am sind begrüßenswert!
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