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31.3.2019

(Mir) Unbekannte klassische amerikanische Komponisten des 20. Jahrhunderts

 

Mit dem Bekanntheitsgrad sowohl im Allgemeinen wie im Speziellen ist es so eine Sache. Ich gehe davon aus, dass die folgenden klassischen amerikanischen Komponisten des 20.Jahrhunderts Musikinteressierten mehr oder weniger bekannt sind, und ich deswegen in diesem Blog nicht näher auf sie eingehen werde.

John Adams (Harmonielehre*), George Antheil (Ballet Mécanique), Leonhard Bernstein (West Side Story), Samuel Barber (Adagio for Strings), John Cage (4:33), Aaron Copland (Fanfare of the Common Man), George Crumb (Echoes of Time and the River), Morton Feldman (Projections 1 – 5), George Gershwin (Porgy & Bess), Philip Glass (Einstein on the Beach), Charles Ives (The Unanswered Question), Aaron Jay Kernis (Symphony in Waves), Conlon Noncarrow (51 Studies for Player Piano), Terry Riley (In C), Steve Reich (Drumming) & Edgar Varèse (Ionisation). 
* In Klammern jeweils ein bekanntes, wenn nicht das bekannteste Stück.

 

Folgende Komponisten würde ich - zumindest für mich,  als eher unbekannt einstufen: Henry Cowell, Ruth Crawford, Roy Harris, Howard Hanson, Leon Ornstein, George Perle, Walter Piston, William Schuman, Ernest Bloch & Charles Wuorinen. Die meisten haben tendenziell eher nach musikalischen und weniger nach mathematisch-seriellen Kriterien komponiert. Also eine für den (geübten) Hörer nachvollziehbare Musik, die sich aus den traditionellen Bausteinen Melodik-Harmonik-Rhythmik-Kontrapunkt (Reihenfolge beliebig) samt opulenter Orchestrierung zusammensetzt und die öfters auch Elemente des Jazz und der amerikanischen Volksmusik mit einbezieht. Man könnte natürlich darüber diskutieren, warum manche Musiker bekannter sind als andere. Aber die Qualität kann man erst dann erkennen, wenn sie vom Zeitgeist losgelöst ist. Ich bin mir sicher, dass man z.B. Williams Schuman’s Violinkonzert in 30 Jahren eine andere Bedeutung beimessen wird, als das jetzt geschieht. Mir macht es immer wieder Spaß, Musiker oder Stücke von Musikern zu entdecken, die Außenseiter waren/sind und  sich nie einem System oder einem Stil untergeordnet haben. Sozusagen meine streng subjektive Sicht-, bzw. Hörweise!

 

 

William Schuman, 1910 – 1992  Komponist, Geiger

Geb. in NYC in einem jüdischen Elternhaus brach er sein Handelsstudium ab, studierte stattdessen Musik am Malkin Conservatory und nahm Privatstunden bei Roy Harris. Er war befreundet mit dem Texter Frank Loesser, von dem er auch einige Songtexte vertonte. Präsident der Juilliard School, später auch des Lincoln Centers sowie Gründer des Juilliard String Quartets. Großes Oeuvre mit zehn Sinfonien. Pulitzerpreis 1943 & 1985.

 

Concerto for Violin and Orchestra, 1947          33:17

Das ist wirklich ein unglaubliches Stück! Allein schon der rhythmische Anfang! Bei 4:30 dann ein wunderschönes Adagio, bei 9:50 die Solokadenz, bei 17:27 ein paar fantastische Akkorde, bei 20:25 dann ein zweistimmiger kontrapunktischer, sehr rhythmischer Satz. Dann bei 23:23 eine langsame symmetrische absteigende Progression (G/Bb, F/Ab, Eb/G, Db/Fb, B/D, A/C) mit einer super Linie darüber.

Und natürlich dann bei 32:30 die virtuose Schlusskadenz. Was für eine grandiose Musik!


 

George Perle, 1915-2009  Komponist & Musiktheoretiker

Geb. in BayonneNew Jersey.        
Studierte an der DePaul University und nahm Privatstunden bei Ernst Krenek. Setzte sich mit der Wiener Schule, vor allem Alban Berg auseinander und nannte seine Musik Twelve-Ton-Tonality.Verfasste mehrere musiktheoretische Bücher über Zwölftonmusik und Tonalität. 1986
Pulitzerpreis.

 

Adagio for Orchestra, 1992        9:09

Harmonisch sehr advanced & sophisticated, klingt dieses Stück für mich wie eine

Weiterentwicklung von Gustav Mahler. Sehr berührend.


 

Walter Piston,  1894 – 1976  Komponist, Geiger & Pianist   
geb. in Rockland, Maine     
Spielte Geige und Klavier in Tanzkapellen und studierte in Havard und von 1924-26 in Paris bei Nadia Boulanger. Unter seinen Studenten befanden sich Leonhard Bernstein oder Elliot Carter. Veröffentlichte die drei musiktheoretischen Bücher Harmony (1941), Counterpoint (1947) und Orchestration (1955). Enge Verbindung zum Boston Symphony Orchestra, das elf seiner Werke uraufführte. 

 

The Incredible Flutist Ballet Suite, 1938     18:07

0:00 Siesta in the Market Place, 1:25 Entrance of The Vendors, 4:21 The Tango, 08:26 Circus March, 9:00 The Flutist, 11:11 Minnuet, 11:58 Spanish  Waltz; 12:55 Eight o’clock Strikes, 13:20 Siciliano, 15:25 Polka Finale.

Ein äußerst vergnüglicher Ritt durch die Geschichte verschiedenster Tänze mit einem wunderbaren Flötensolo bei 09:00 und ein Polka-Finale, an dem  Werner Pirchner seine Freude gehabt hätte. Ich glaub aber, dass er dieses Stück eher nicht gekannt hat.

 

 

Henry Cowell, 1897-1965 Komponist, Musiktheoretiker & Pianist

geb. in Melo Park, California.

Als Sohn eines irischen Immigranten studierte er an der University of California u.a. bei Charles Seeger. Als Lehrer u.a. von John Cage & Kurt Bacharach und besuchte er als erster amerikanischer Komponist 1929 die UDSSR. Entwarf zusammen mit Joseph Schillinger, der  mit  Nicolas Slonimsky zu den großen Theoretikern des 20.Jh. gehört, das von Leon Themerin gebaute Rhythmikon, das erste elektronische Rhythmusgerät. Er bereiste in den 20er-Jahren Europa, studierte 1931 in Berlin und gilt als Pionier der World Music. Verbrachte vier Jahre im San Quentin State Prison wegen Homosexualität. Es ist der einzige mir bekannte Komponist, der im Gefängnis war, mit meiner Ausnahme.

 

Symphony No.11  Seven Rituals of Music, 1953      21:34

1. Andantino 2. 4:16 Allegro 3. 7:40 Lento 4. 10:58 Presto 5. 14:20 Adagio 6. 17:43 Vivace 7. 19:19 Andante
Ein eindrückliches Werk voller ungeahnter Klänge.


 

Howard Hanson, 1898-1979  Komponist, Pianist, Dirigent

Geb. in WahooNebraska als Sohn schwedischer Einwanderer. Studierte u.a. an der Juilliard School in NYC. Lebte drei Jahre in Rom. Von 1924 bis 1964 Leiter der Eastman School of Music.  1944, Pulitzerpreis für die 4. Symphonie. 


Symphony No.2,  1930      28:51

Ein Seitenthema dieser Symphonie wurde im Finale des Films Alien verwendet.

 

 

Roy Harris,  1898 – 1979 Komponist

Geb. in  Lincoln CountyOklahoma.

Studierte an der  University of California, Berkeley. Von 1926 bis 1929 in Paris Studium bei Nadia Boulanger. Unterrichtete u.a. an der Juilliard School. Einer seiner Studenten war William Schuman. Er schrieb 18 Sinfonien, seine 1. Symphonie ist die erste in Amerika auf Schallplatte eingespielte (1933). Mitbegründer der  American Composers Alliance.

 

Symphony No. 3,  1938    17:12

Dieses lebendige Werk wurde von Leonhard Bernstein mehrmals eingespielt und genau so stellt man sich virtuose, sehr  amerikanische Sinfonik vor.


 

Charles Wuorinen 1938  Komponist, Pianist, Dirigent

Der einzige noch Lebende unter den hier Ausgewählten .

Geb. in NYC  als Sohn finnischer Einwanderer. Bekam mit sechzehn Jahren den New York Philharmonic's Young Composers' Award  und wurde u.a. von Edgar Varèse gefördert. Abschluss an der Trinity School. Unterrichtet im Moment an der Rutgers University in New Jersey. 1970 Pulitzerpreis

 

Eighth Symphony  Theologoumena 2006/2006       32:14

Eine sehr lebendige und rhythmische Musik mit vielen hohen Horn- und virtuosen Paukenstellen sowie einem grandiosen Finale ab 30:00

 

 

Die einzige Frau, die allerdings stilistisch nicht ganz hierher passt, ist Ruth Crawford Seeger, 1901 – 1953 Komponistin & Pianistin, geb. in East Liverpool, Ohio. Studierte u.a. in Chicago am  American Conservatory of Music. Bekam als erste Komponistin den Guggenheim Fellowship, der sie nach Paris und Berlin führte. Sie reiste öfters nach Wien und Budapest um Alban Berg und Bela Bartok zu treffen. Nach der Heirat mit ihrem Lehrer Charles Seeger widmete sie sich mit ihm zusammen fast nur noch der Erforschung amerikanischer Volkslieder.


Andante for Strings, 1931   3:58

Ein kurzes eindrückliches Stück, eigentlich der 3. Satz ihres String  Quartet, hier für Streichorchester erweitert.

 

Und hier bei 05:19 dasselbe Stück in der Originalversion, im Streichquartett: 

Der Unterschied im Klang, und deswegen auch in der Ästhetik, ist riesig.

 

Ernest Bloch

war ein 1880 in Genf geborener und 1959 in Portland gestorbener schweizerisch-amerikanischer Komponist, der 1916 in den USA gestrandet ist, wo er grosse Erfolge feiern konnte und auch heute sehr geschätzt wird, in Europa jedoch zu Unrecht weitgehend vergessen ist. Seine Violinsonaten sind sehr rhythmisch, virtuos und nehmen viel vom späteren Jazz vorweg!

Und zum Schluss noch Leon Ornstein, der wohl einzige Komponist der Menschheitsgeschichte, der in drei Jahrhunderten - von 1895 bis 2002, gelebt hat und dabei 106 Jahre alt geworden ist. Geb. in Krementschug, Russland.  Ausbildung am Sankt Petersburger Konservatorium und an der Juilliard School. Als avantgardistischer und exzentrischer Klaviervirtuose verzauberte er in den 10er-Jahren die New Yorker Society. Ab 1930 leitete er zwanzig Jahre lang seine eigene Schule. Seine Stücke entwarf er am Klavier und diktierte sie dann aus dem Kopf Jahre oder Jahrzehnte danach seiner Frau. Später änderte sich seine clusterorientierte Klaviermusik stark Richtung Tonalität.

 

Wild Men’s Dance, 1913      2:40

Damit hat Ornstein Cecil Taylor quasi 50 Jahre vorher vorweg genommen.

 

Waltz No. 7, zw. 1958 und 1980    3:51

Im Unterschied zu den meisten Hardcore-Avantgardisten und Freejazzmusikern ist Ornstein im Alter quasi noch fast Romantiker geworden. Was für eine spannende Wandlung! Siehe auch Nocturne and Dance of the Fates

 

 

mathias rüegg

ps; und nicht vergessen, Martha ist die BESTE!!!

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